Was sich hinter den neuen Angriffen gegen Geschlechtergerechtigkeit und Vielfalt verbirgt und wie Sie damit umgehen können
Bleiben Sie ruhig und unerschrocken. Gehen Sie über persönliche Angriffe hinweg.
Was sich hinter den neuen Angriffen gegen Geschlechtergerechtigkeit und Vielfalt verbirgt und wie Sie damit umgehen können
GENDERWAHN – GENDER-GAGA – GENDER-IDEOLOGIE – GENDERISMUS
Vielleicht haben Sie das Wort ›Gender‹ vorher noch nie gehört. Oder Sie wussten nicht so genau, was es bedeutet. Und nun lesen Sie im Internet oder auf einem Flugblatt, dass es sich dabei um ein verdächtiges oder sogar gefährliches Experiment handeln soll.
Vielleicht dachten Sie bisher auch: ›Gender‹ – das ist nervig, aber harmlos. Das interessiert allenfalls unsere örtliche Gleichstellungsbeauftragte. Und nun bemerken Sie plötzlich, dass sich an ›Gender‹ eine ungeheure Empörung entzündet hat.
Vielleicht engagieren Sie sich aber auch selbst schon lange für Geschlechtergerechtigkeit und Vielfalt. Und nun schlägt Ihnen auf einmal ein überraschend aggressiver Ton entgegen und Sie erkennen in den Angriffen kaum noch wieder, was Sie selbst mit ›Gender‹ verbinden.
Männlich und weiblich schuf Gott sie.
(Gen 1,27)
In Christus ist nicht männlich und weiblich.
(Gal 3,28)
›Gender‹ ist ein englisches Wort für Geschlechtlichkeit. Seit gut 25 Jahren wird es auch im Deutschen gebraucht und zwar als Fachbegriff. Wo der seriös verwendet wird, geht es immer irgendwie darum, unser Geschlecht und was damit zusammenhängt so genau wie möglich zu verstehen.
Warum das nötig ist? Weil das eine Wort ›Geschlecht‹ so viele verschiedene Dinge meint: Vorstellungen über unseren Körper, über männliche und weibliche Identität, Verhaltensmuster und Begabungen, über Sexualität, Kinderkriegen, das Elternsein … Sie haben sich im Laufe der Geschichte stark verändert. Und sie fügen sich nicht bei allen einfach nach Schema F zusammen.
Menschen leben ihr Geschlecht ganz unterschiedlich. Gleichzeitig spielt es im Alltag bei jeder Begegnung eine Rolle. Und es bleibt nicht folgenlos: Menschen werden als Frauen oder als Männer benachteiligt oder wegen ihrer Art zu lieben und zu sein abgewertet. Kinder sind besser oder schlechter abgesichert, je nachdem, in welche Familienform sie hineingeboren werden.
Politisch geht es mit ›Gender‹ daher um Gerechtigkeit für alle und darum, dass Menschen ihr Leben in Vielfalt so gestalten können, wie es ihnen entspricht – die einen so, die anderen so.
Jurij sorgt für die Kinder, die seine Partnerin mit in die Beziehung gebracht hat, und betreut seine Großtante. Auf dem Finanzamt und bei der Pflegeversicherung wird er als ›Kinderloser‹ behandelt. Warum eigentlich?
Katrin und Tobias wollen Teilzeit arbeiten und sich gemeinsam um ihre beiden Kinder kümmern. Rabenmutter? Weichei? Und warum ist das alles so mühsam durchzuhalten?
Leon liebt Mädchen, Hannah auch. Auf dem Schulhof fällt täglich das Schimpfwort ›schwule Sau‹. Wie fühlt sich das an?
Otto ist 86 und lebt im Pflegeheim. Wie erschreckend viele Männer seines Alters denkt er immer wieder darüber nach sich umzubringen. Wer hat das im Blick?
Als Kim zur Welt kommt, sind seine Geschlechtsteile weder eindeutig männlich noch eindeutig weiblich. Es folgen zahllose Operationen, die ihn zum Mädchen machen sollen. Wer achtet auf Kinder wie Kim?
Helga stand kurz vor einem Herzinfarkt, Manfred leidet an Osteoporose. Sie hatte ›untypische‹ Beschwerden, bei ihm dachte niemand an eine ›Frauenkrankheit‹. Deshalb ließ die Diagnose bei beiden auf sich warten. Muss das so sein?
Tom und Nick sind Brüder. Nick liebt Monstertrucks, Tom möchte im Kleid in die Kita gehen. Wo ist das Problem?
Jana ist 27 und erzieht ihre Kinder allein. Wie viele Frauen in ihrer Lage schafft sie nebenbei bloß einen Minijob. Wenn sie an ihre Altersrente denkt, wird ihr angst und bange. Wie lässt sich das ändern?
Seit einiger Zeit ziehen neokonservative und rechte Kräfte in ganz Europa lautstark gegen eine offene Geschlechterpolitik zu Felde. Sie wollen ein stereotypes Bild vom Mann- und Frausein und von Familie festschreiben und andere Lebensentwürfe wieder zurückdrängen . Dieses politische Ziel verbergen sie hinter einer irreführenden Kritik am Begriff ›Gender‹. Mit den immer gleichen Scheinargumenten stellen sie das Eintreten für Geschlechtergerechtigkeit und Vielfalt als ›Genderismus‹ – als albernen ›Genderwahn‹ oder gefährliche ›Gender-Ideologie‹ – dar. Damit verdrehen sie das befreiende Anliegen, das zu ›Gender‹ gehört, in sein Gegenteil.
Ganz verschiedene, z.T. gegensätzliche politische Strömungen finden hier eine Schnittmenge und verbünden sich – freie Publizist_innen; Journalist_innen; einzelne Naturwissenschaftler; die sog. Männer-rechtsbewegung; ultrakatholische und
protestantisch-fundamentalistische Krei-se; neurechte Leitmedien; AfD und PEGIDA. Dabei tauchen dieselben wenigen Schlüsselfiguren immer wieder auf. Indem sie laufend aufeinander verweisen, erzeugen sie das Bild einer geschlossenen Front.
Wichtigste Plattform der Stimmungsmache ist das Internet (Websites, Blogs etc.). Doch hat Anti-Gender längst auch in überregionalen Qualitätsmedien Fuß gefasst und reicht bis in lehramtliche Texte des Vatikans. Aktivist_innen schreiben auflagenstarke Bücher. Netzwerke verteilen massenhaft kostenlose Broschüren oder Flugblätter und organisieren Kampagnen und Demos
Die Anti-Gender-Kräfte verpacken ihre gemeinsame politische Agenda ganz unterschiedlich. Der Ton reicht von moralischen Mahnungen und Warnungen vor ›Gender‹ über hämisches Lächerlich-Machen bis hin zu enthemmten Verunglimpfungen und Bedrohungen.
»Gender Mainstreaming ist eine von nicht richtig arbeiten wollenden, nichtsdestotrotz sehr aggressiven Lesben in die Welt gefurzte Quatsch-theorie«. (A. Pirinçci)
»Aufklärung vor dieser teuflischen Ideologie ist […] das Gebot der Stunde«. (Kirche in Not)
Andere geben sich betont modern und harmlos oder ahmen gar die Aktionsformen derer nach, die sie bekämpfen.
Mit diesem breiten Spektrum werden unterschiedlichste Zielgruppen bedient – vom Feuilleton-Publikum über den bibeltreuen Christen bis hin zur Protestwählerin.
»Die Gender-Ideologie stellt eine Bedrohung dar, die schlimmer ist als Nazismus und Kommunismus zusammen«. (Bischof T. Pieronek)
»Das Ziel greift hoch hinaus: Es will nicht weniger als den neuen Menschen schaffen, und zwar durch die Zerstörung der traditionellen Geschlechtsrollen«. (V. Zastrow)
»Gendermainstreaming ist intellektueller Wohlstandsmüll«. (B. von Storch)
Horst und Inge sind seit 54 Jahren verheiratet. Sie sind froh, dass ihre vier Kinder heute freier leben, als sie selbst es konnten. Und weil ihre Enkel so weit weg wohnen, hüten sie jetzt manchmal Akam und Zada von nebenan. Was hat das mit ›Gender‹ zu tun?